
Pfarrer Markus Schanz (Foto: Rolf Gebhardt)
Christen in Indien – evangelische zumal – gibt es schon seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts. Damals wirkten u.a. Samuel Hebich, Hermann Gundert und Hermann Mögling für die Basler Mission in Südwestinden, betätigten sich sprachwissenschaftlich für Kirche und Schulwesen und begründeten Missionsindustrien. Seit etwa 40 Jahren gibt es in Südostindien auch eine eigenständige freie evangelische Kirche, die Nethanja-Kirche, über die der dort engagierte Fleiner Pfarrer Markus Schanz bei den „Jungen Senioren“ im Hans-Rießer-Haus berichtete.
Markus Schanz war elf Jahre lang geschäftsführender Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Flein. Als 2014 die zweite Pfarrstelle auf eine halbe reduziert wurde und sich für deren Besetzung niemand fand, entschloss sich Schanz 2016 im Einvernehmen mit dem Kirchengemeinderat, diese 50-Prozent-Stelle anzutreten und sich zu 50 Prozent von der Landeskirche ausleihen zu lassen als Geschäftsführer für „Kinderheim Nethanja Narsapur christliche Mission Indien e.V.“. (Vorstandsvorsitzender ist Dr. Ekkehard Graf, der neue Dekan des Kirchenbezirks Marbach.) Für Schanz ist es so möglich, in Flein verwurzelt zu bleiben, da die Vereinsgeschäftsführung nicht mit einer Personalverantwortung in Indien verbunden ist, sondern mit Beratung sowie geistlicher und insbesondere finanzieller Unterstützung der Nethanja-Kirche.
Schanz, der gerade wieder von einer Reise nach Indien –„ viereinhalb Stunden Zeit-Abstand entfernt“ – zurückkam, kann jährlich dieser Kirche rund 1,2 Millionen Euro zur Verfügung stellen, aus privaten Einzelspenden und Freundeskreisen sowie Projekt-Partnerschaften vornehmlich aus Württemberg; der Verein gehört der Arbeitsgemeinschaft evangelikaler Missionen (AEM) und der Landeskirchlichen Württembergischen Arbeitsgemeinschaft für Weltmission (WAW) an.
Alles begann im württembergischen Sindelfingen, wo der damalige CVJM-Diakon Karl Ramsayer einen indischen Werkstudenten kennenlernte und unterstützte. Dieser berichtete von der großzügigen christlichen Gastfreundschaft seinem in Narsapur (Bundesstaat Andhra Pradesh) lebenden Vater, der sich darob angeregt sah, seinen Kuhstall für die Beherbergung von fünf Waisenbuben herzurichten. Daraus entwickelten sich zunehmend beachtliche missionarische und diakonische Aktivitäten, weitgehend verantwortet von diesem Familienclan Komanapalli, aus dem drei Pastoren hervorgingen, Bischof Dr. Singh Komanapalli, der auch in Tübingen als Stipendiat des Albrecht-Bengel-Hauses studierte und eine deutsche Frau heiratete (alle fünf Kinder wurden in Württemberg getauft), sowie seine Brüder Jevaan und Pratap als Dekane. Zahlreiche Württemberger begleiteten den Fortgang der Nethanja-Kirche, darunter auch die Eltern von Markus Schanz.
Die nach wie vor wachsende Nethanja-Kirche umfasst heute etwa 1500 Gemeinden mit durchschnittlich 120 000 sonntäglichen Gottesdienstbesuchern. Eng verbunden mit dem Gemeindeaufbau ist die diakonische, soziale und medizinische Arbeit: Neun Kinderheime mit insgesamt 700 Kindern, davon zwei „Mädchendörfer“, Tagesschulen im Dschungelgebiet, Nähkurse, Ausbildungsstätten für Krankenpflege und Handwerksberufe, drei Highschools für 1200 Schüler/innen mit angeschlossenen Internaten, Bibelschule mit Vollzeitstudium und Evangelisationskursen. ferner Missionskrankenhaus mit 65 Betten (Schwerpunkt Geburtshilfe, innere Medizin, Chirurgie, Ambulanz), Beratungs- und Therapiezentrum für Aids-Pateinten, ambulante Hilfe für HIV-Infizierte, mehrere Ambulanzstationen auf dem Land und in Slumgebieten, Unterstützung einer Leprasiedlung und Blindenwohnheim.
Markus Schanz betätige sich auf seiner jüngsten Herbstreise nach Indien nicht nur als finanzieller Kontrolleur und Berater, sondern auch als Prediger in kleinen und großen Gottesdiensten. Sein Bischofsfreund Singh, der sich mit seinen charismatischen, lebendigen und überzeugenden Predigten im Lande großer Popularität erfreut, spricht in seiner Bischofskirche oft vor tausenden von Gläubigen, bei Evangelisationsveranstaltungen vor 10 000 bis 20 000 und im landesweiten Fernsehprogramm vor hunderttausenden von Zuhörern, stets in würdevollem Habit, auch bei Aufritten in Dschungeldörfern oder in den Slums der Millionenstadt Visakhapatnam. Er legt die Schrift aus, benennt aber auch die brennenden Probleme Indiens und ebenso die aktuellen Weltereignisse, wie Schanz vielfach mitbekommen hat.
Christ-Sein ist gerade im modernen Indien nicht unproblematisch. Das 1,3 Millionen Einwohner zählende Land, in dem drei Prozent christlichen Konfessionen angehören, ist nach wie vor geprägt von dem traditionellen – offiziell abgeschafften – Kastenwesen und dem Karma der hinduistischen Geistesauffassung. Die Bekehrung von Naturvölkern in den Bergdschungeln und erst recht der Übertritt von Hindus – generell gibt es nur Erwachsenentaufe – ruft auch Naxaliten-Terroristen wie Hindu-Extremisten oft gewalttätig auf den Plan, berichtete Schanz, der aber auch gerade wegen dieser Gegnerschaft die Nethanja-Kirche als Segen für Arme, Bedürftige, Benachteiligte und Sinnsuchende wahrnimmt, erst recht für Witwen und Waisenkinder.